Hebräerbrief: Der Kreuzestod -
das Opfer des Neuen Bundes
(Im Anschluß an l Kor 15, 3b; Hebr 9, 9-15.27f)



Den meisten Menschen unseres Kulturkreises erscheint die Idee des religiösen Opfers heute wie ein exotischer Aberglaube und die Vorstellung, Gott habe seinen Sohn geopfert, um uns von unseren Sünden zu erlösen, ist für sie vollends absurd. Und das liegt vor allem daran, daß in den zweitausend Jahren Christentum aus den ursprünglichen Erfahrungen der Apostel ein System geworden ist, das mehr mit Buchhaltung zu tun hat, als mit den unvorhersehbaren Bewegungen des schöpferischen Geists. In der Welt der Buchhaltung ist ein »Opfer« eine Art Geschäft, nämlich die Kunst, mit wenig Einsatz höchste Gewinne zu erzielen, oder, unvermeidliche Verluste in Grenzen zu halten. Damit aber hatte Jesus absolut nichts zu tun.
Und auch der Autor des Hebräerbriefs verwirft die buchhalterische Opferidee, die natürlich schon damals weit verbreitet war, und er unterscheidet sie ganz klar von dem »Opfer« des »Christus« (Hebr 9, 9-15 . 27f):

(Im Tempelzelt des Alten Bundes)
9 werden Gaben und Opfer dargebracht,
die den Diener der Bewußtheit nicht zur Vollendung führen können;
10 es handelt sich um äußerliche Rechtsvorschriften
nur im Hinblick auf Speisen und Getränke und allerlei Waschungen,
die bis zu der Zeit einer besseren Ordnung auferlegt worden sind.
11 Christus aber ist erschienen als Hoherpriester des geschehenen Guten;
und durch das größere und vollendetere Zelt,
das nicht handgemacht, das heißt nicht von dieser Welt ist,
ist er ein für allemal in das Heiligtum hineingegangen,

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12 nicht mit dem Blut von Böcken und Stieren,
sondern mit seinem eigenen Blut,
und so hat er eine ewige Erlösung erreicht.
13 Denn, wenn schon das Blut von Böcken und Stieren und die
Asche einer Kuh die Unreinen, die damit besprengt werden,
heiligt zur Reinheit des Fleisches,
14 wieviel mehr wird das Blut des Christus,
der sich selbst,
(bewegt) durch den ewigen Atem,
Gott als makelloses Opfer dargebracht hat,
unser Bewußtsein von toten Werken reinigen,
damit wir dem lebendigen Gott dienen.

Offensichtlich geht es hier nicht um einen Tauschhandel, sondern darum, daß der Tod Jesu uns erschüttert und unser Bewußtsein von toten Werken (von Zwängen) reinigt. Bei Jesus gab es keine toten Werke. Er ist »durch das größere, nicht handgemachte Zelt« in das Heiligtum hineingegangen. Er verfolgte keine ausgedachten Absichten auch nicht die eines Opfers — sondern er folgte in allem »dem ewigen Atem«, der Wahrheit des Augenblicks. Dadurch hatte er die Kraft eines Messias. Dadurch mußte er aber auch diesen Tod erleiden, in dem die Entfremdung der Menschen seiner Zeit sichtbar wurde.
Seine totale Hingabe an den lebendigen Gott machte auch seine Schüler fähig, die Wahrheit zu ertragen und ihre eigenen Leiden anzunehmen. Sie brauchten sein Leiden als den letzten Anstoß zu ihrer Verwandlung. Aber Jesus hat dieses Schicksal nicht auf sich genommen wegen einer moralischen Idee. Er litt nicht am »Helfersyndrom«. Es war der Wille »des Größeren«, der ihn führte, der Wille des »Vaters«, der Geist.
Alles, was geschieht, geschieht durch den Geist. Und weil Jesus ganz eins ist mit ihm, ist er »der Hohepriester des geschehenen Guten«.
Die Menschen haben sich durch den Sündenfall getrennt von ihm und damit von dem (von selbst) geschehenden Guten. Jesus

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macht diese Trennung rückgängig. Durch sein Beispiel zeigt er allen das Gesetz des Universums: Es ist die Hingabe. Und Hingabe bedeutet, der Wahrheit des Augenblicks folgen und nicht den Vorstellungen. Hingabe ist ganz natürlich. »Opfer« dagegen kommen in der Natur nicht vor, sie gehören in die Welt der Vorstellungen. Nur vom Standpunkt des »sündigen«, d.h. vom Fluß der Wahrheit abgesonderten, Menschen aus betrachtet, erscheint der Tod Jesu als ein »Opfer«. Und von der Ebene der Vorstellungen aus kann sogar gesagt werden, der Vater habe seinen Sohn geopfert, wegen unserer Sünden.
Daß Jesus diesen Tod sterben mußte, liegt ja tatsächlich an unseren »Sünden« (l Kor 15, 3b): Nur wegen der Starre der Vorstellungen seiner Schüler ist es für Jesus nötig geworden, diesen Weg zu gehen. Nur wegen unseres hartnäckigen Beharrens auf der Unterscheidung von »gut« und »schlecht« mußte Jesus auf diese Weise zeigen, daß sich ein echter Mensch nicht von Vorstellungen leiten läßt, sondern allein vom Willen des Ganzen — ganz gleich wohin der ihn führt.
Und so ist es auch korrekt zu sagen, daß Jesus durch seinen Tod alle Menschen aller Zeiten erlöst hat, denn alle werden von seinem Beispiel berührt und wer sein Beispiel annimmt, wird verwandelt.
Sogar wenn einer das nicht versteht, wird er erlöst, wenn er nur glaubt, daß er durch den Tod Jesu erlöst worden ist. Es braucht dazu gar keine magischen Transaktionen. Allein in dem Bewußtsein, daß die Erlösung bereits erfolgt ist, kann der Gläubige frei leben, erlöst von aller Angst.
Aus genau diesem Grund hat sich im Buddhismus, genauer, in der Sekte des Amida-Buddhismus, eine fast identische Erlösungslehre entwickelt. Dort wird gesagt, der Buddha habe versprochen, er werde die Früchte seiner Erlösung erst dann genießen, wenn der letzte Mensch den Weg des Buddha erfahren habe. Darauf können sich seine Anhänger verlassen und das macht sie frei von der Sorge um die Erlösung. Sie sind in keinem Fall schlechter dran als der Buddha. Und damit sind sie

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wirklich erlöst: Sie können ihr Schicksal annehmen und eins werden mit dem Göttlichen.
Aber heute vertrauen die meisten Christen weder darauf, daß die Erlösung bereits geschehen ist, noch glauben sie an eine magische Wirkung. Die Interpretation des Todes Jesu als »Opfer« ist zu einem leeren Klischee geworden, das fast gar nichts mehr bewirkt, jedenfalls in unserer Kultur. Wenn Nietzsche gesagt hat »Die Christen müßten mir erlöster aussehen«, so hat er damit nur festgestellt, was ohnehin jeder sehen kann: daß die behauptete Erlösung nicht eingetreten ist. Längst ist die Klage des Propheten Jeremia wieder aktuell, der seinen Landsleuten vorwarf, sie meinten, es genüge, ein Mitglied zu sein, und es wäre nicht nötig, sich innerlich berühren und verwandeln zu lassen. Aber in so einem Fall ist jedes Opfer vergeblich, selbst das des Gottessohnes. Das christliche Erlösungsmodell hat sich also abgenützt. Aber womit kann das Salz, das schal geworden ist, wieder gesalzen werden? Wir müssen zurückkehren zum Ursprung!

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